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Geburtstagsgeschenk 2004

(Alter der Autorin: 14 Jahre)


Fragen

Es war Morgen. Früher Morgen. Die Sonne ging gerade auf. Die Vögel fingen an zu zwitschern und es wurde warm. Nana stand auf, machte die Vorhänge zu und schaltete den Computer an. Sie hatte die halbe Nacht am Computer gesessen und im Internet gechattet. Sie hatte viele Leute kennengelernt, aber ein Mädchen ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Es nannte sich "yourself" und Nana unterhielt sich lange mit ihr. "Yourself" war wohl etwas verrückt, denn sie behauptete, dass sie im Computer eingesperrt sei. Sie flehte Nana mehrmals an, sie doch zu befreien und irgendwann schrieb Nana dann, dass sie es versuchen werde, aber wie, fragte sie? Sie verabredeten sich für morgens früh um sechs im Chat und jetzt war es soweit.

Nana hörte das Rattern des Computers beim Start. Als sie ihr Passwort eingeben musste, vertippte sie sich zweimal, da ihre Hände zitterten. Dann ging sie ins Internet und auf die Homepage des Chattes. Sie schrieb Nana und ihr Passwort in das Login- Fenster und klickte auf Los. Ihr Herz klopfte. Würde "yourself" da sein? Was wenn sich jemand einen Spaß mit ihr erlaubte?

 Das Chatfenster lud. In der ersten Zeile stand: Nana betritt den Raum. Niemand war da. Nanas Herz hörte auf zu klopfen. Ihr wurde klar, wie blöd sie gewesen war. Ein Mädchen im Cyberspace eingesperrt? Absoluter Quatsch! Irgendjemand hatte sie reingelegt und lachte sich jetzt ins Fäustchen.

Gerade wollte sie auf den Logout-Button klicken, da kam eine Nachricht. "Yourself betritt den Raum". Ihr Herz fing wieder an zu schlagen und ihr wurde mulmig zu Mute. Yourself schrieb: "Hallo Nana! Wie geht es dir?" Sie redeten eine Weile über belanglose Dinge. Aber plötzlich fragte "Yourself": "Hast du es dir auch nicht anders überlegt? Willst du mir helfen?" Nana wusste nicht recht, was sie sagen sollte. "Woher kann ich sicher sein, dass du mich nicht verarscht?", fragte sie. Es dauerte nicht lange, da kam die Antwort: "Vertrau mir einfach! Stell dir vor, deine beste Freundin ruft dich an und sagt, dass sie entführt worden ist. Würdest du ihr glauben?" Was sollte das denn jetzt? Wie kommt diese "Yourself" dazu, sich mit Nanas bester Freundin zu vergleichen? Sie antwortete: "Natürlich würde ich ihr glauben, aber sie kenne ich und dich nicht!" Die Antwort kam wieder blitzschnell: "Oh, du kennst mich sehr gut, du weißt gar nicht wie gut! Du kennst mich besser als jeden anderen Menschen auf dieser Welt. Und ich kenne dich."

Nana überlegte. Wer zum Teufel ist diese Person, dass sie behauptet sie kenne Nana? Dass sie behauptet, Nana kenne sie besser als jede andere Person auf dieser Welt?

 Nach einer Pause schrieb Nana: "Wer bist du? Wer bist du, dass du solche Sachen behauptest?" Diesmal dauerte die Antwort etwas länger, aber als sie kam und Nana sie las, konnte sie nicht glaube was sie da las:

"Ich bin ein Teil von dir, dein sechster Sinn, noch viel mehr als nur eine gute Freundin. ICH BIN DU!"

Nana wurde es jetzt zu unheimlich. Was sprach dieses Mädchen da? Was meinte sie mit 'ich bin du' ? Ihre Finger waren schon auf dem Ausmachknopf des Computers, da schrieb 'yourself':

 "Halt, nicht ausmachen! Du musst mich retten! Wenn du mich nicht rettest, wirst du zu Grunde gehen!"

O Gott, was mache ich jetzt nur, dachte Nana. Dann schaute sie sich um. Sie war hier und diese Person irgendwo da draußen. Ihr wurde klar, dass Yourself ihr nichts anhaben konnte. Das Vogelgezwitscher holte sie wieder in die Realität zurück. Sie wollte wissen, was diese Person vorhatte und was sie von ihr wollte. Sie durfte es nur nicht zu ernst nehmen. Da erschien wieder eine Nachricht auf dem Bildschirm:

"Hast du Angst?" Nana antwortete sofort, ohne zu überlegen: "Nein". Aber stimmte das? Sofort erschien wieder die Antwort: "Doch hast du! Du versuchst, mich nicht ernst zu nehmen. Aber ohne mich hast du keine Chance!" Jetzt ging diese Person aber zu weit. Was meinte sie mit 'keine Chance'? Als wüsste 'yourself' was Nana gedacht hatte, kam wieder sofort die Antwort auf ihre Gedanken:

 "Sagen wir mal so. Stell dir vor, dein Kopf würde in einer Besenkammer eingesperrt sein. Du könntest nicht überleben ohne ihn." Jetzt verstand Nana überhaupt nichts mehr: "Aber du bist nicht mein Kopf, sondern nur irgendeine Verrückte!" Jetzt kamen die Antworten bereits so schnell, dass Nana nicht einmal Zeit hatte, über sie nachzudenken: "Merkst du nicht, wer hier langsam aber sicher verrückt wird? Du! Ja, ich bin auch verrückt, aber ich bin du. Rettest du mich, rette ich dich!" Was meinte sie mit retten?? Nana konnte kaum mehr schreiben, denn ihre Hände waren schweißnass. "Du brauchst mich nicht zu retten! Es gibt nichts zu retten! Ich bin glücklich wie ich bin, und ich brauche deine Hilfe nicht! Warum sollte ich dir dann helfen?"

Nana zitterte. Draußen schob sich eine dicke Regenwolke vor die Sonne, und es fing an zu nieseln. Das Vogelgezwitscher erstarb plötzlich. Diesmal dauerte es etwas, bis die Antwort auf die Frage erschien:

"Wie viele Nächte hast du darüber nachgedacht, wer du wirklich bist, woher du kommst, wer dich erschaffen hat, wer das hier alles erschaffen hat? Ich kann dir diese Fragen beantworten, wenn du mich befreist! Ohne die Antworten wirst du dein Leben lang nicht glücklich sein, du wirst sterben ohne es zu wissen. Befreie mich!" O Gott, dachte Nana, woher weiß diese Person, die behauptet, sie sei ich, das alles? Dass ich nächtelang über diese ganzen Fragen nachdenke. Dass es mein größter Wunsch ist, dass diese Fragen beantwortet werden? Wenn diese Person, wer immer sie auch ist, das alles wüsste, dann würde Nana alles dafür tun, um 'Yourself' zu retten. Obwohl, würde sie wirklich alles dafür tun?

'Ganz ruhig', dachte Nana. 'Ganz ruhig'. Dann schrieb sie: "Was muss ich tun?" Die Antwort kam wieder in Sekundenschnelle: "Du musst einen großen Preis bezahlen für diese Antworten. Du wirst alleine sein. Keine Freunde. Nur ich. Keine Eltern. Nur ich. Keine Feinde. Nur ich." "Aber warum?" "Im Supermarkt bekommst du auch nur etwas zum Essen, wenn du Geld dafür gibst. Für nichts gibt’s nichts, kapiert?"

Das kapierte Nana sehr gut, aber sie war nicht bereit, alles für diese Antworten herzugeben. Vielleicht ein paar Sachen, aber nicht alles! Deshalb schrieb sie: "Ich will das nicht! Ich brauche dich nicht! Ich bin bis jetzt ohne dich ausgekommen! Alle Menschen auf der Welt kommen ohne die Antworten aus, warum sollte ich es nicht schaffen?" "Weil du anders bist. Du hast jetzt eine Minute Zeit, dich zu entscheiden. Befrei mich oder gehe zu Grunde!"

Nana geriet in Panik. Was meinte 'Yourself' mit 'zu Grunde gehen'? Sterben? Nicht glücklich sein? Oder doch etwas ganz anderes? Was ist, wenn 'Yourself' recht hatte? Was, wenn nicht? Vielleicht ist sie weg, wenn sie den Computer ausmachen würde.

"Noch dreißig Sekunden."

"Noch zwanzig."

Plötzlich wurde der Computer schwarz. Das Surren des Computers hörte auf. Das Licht im Zimmer ging aus. Nana wollte schreien, bekam aber keinen Ton heraus. Plötzlich ging die Tür auf. Nana fuhr herum.

Es war ihre Mutter! "Nana, was bist du denn schon wach? Der Strom ist ausgefallen. Wegen des Gewitters. In der ganzen Stadt brennt kein Licht. Hast du Kerzen hier?" Nana atmete auf. Nie wieder, nie wieder werde ich im Internet chatten, dachte sie. Nie wieder.

 

Sie hörte nie mehr von 'yourself', diesem Mädchen aus dem Cyberspace. Das Internet rührte sie auch nie mehr an. Später studierte sie Philosophie, aber ihre Fragen wurden nicht beantwortet, es wurde nur darüber philosophiert. Manches Mal dachte sie an 'yourself' und ob es ein Fehler war, sie nicht zu befreien. Aber 'yourself' hatte nicht ganz recht. Es gab nämlich noch etwas anderes auf der Welt, als Fragen, Fragen, Fragen. Nämlich einfach nur sein, das Leben genießen. Auch so konnte man glücklich werden, auch wenn trotzdem immer ein Loch blieb, dass sich auch niemals schließen wird - damit muss man sich abfinden.

 

© www.natadata.de 2005. Kommentare an Lisann@natadata.de

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