Home

NataData

Gucken

Lesen

Denken

Surfen

Orientieren

Impressum          

Geburtstagsgeschenk 2010

Geschrieben auf dem Durbar Square (Palastplatz) in Patan (Latitpur), Nepal.

(Alter der Autorin: 20 Jahre)

 

 

Augenblicke am Palastplatz

Der erste Blick fiel auf die Frau mit den weißen Zähnen und der dunklen, runzligen Haut. Sie hockte unter dem Holzpavillon am Manga Hiti und lutschte an einem Milcheis, das ebenso weiß wie ihre Zähne war. Sie trug ein schwarz-weiß gepunktetes Kleid über einem bunten Etwas, um die Hüften ein purpurnes Tuch gebunden. Ihren KopfPatan (Lalitpur) Durbar Square bedeckte ein mehrfach umschlungenes Tuch, welches ihr über den Rücken fiel und das Pflaster der Plattform, auf der sie saß, streifte. Goldene, staubige Sandalen hingen an ihren Füßen, sie balancierte sie kunstvoll hin und her, die Beine baumelnd, und auch das Eis hielt sich wankend aber sicher mal in ihrer Hand, mal in ihrem Mund. War es einmal in der Hand, formten die Lippen bauschige, fremde Laute, einem Mantra gleich. Ihr Blick lag auf den Opfergaben, die vom Vishwanath Tempel hinüber wehten und nun von Tauben aufgepickt wurden, Chamaal und Ciura, rot und gelb gefärbt.

Zwei Tauben kamen noch dazu, flogen vom Palastdach hinunter, klaubten auf, was noch zu holen war und dachten: Welcher Gott macht roten Reis? Eine von ihnen, neu auf dem Platz, blickte kurz von der Mahlzeit auf, sah den Elefanten über sich, erschrak und machte einen Satz in Richtung Brunnen.

Hathi, schien die Steinfigur auf dem einen Elefanten zu flüstern. Nun geh endlich! Doch, wie schon seit Jahrhunderten, blieb das mächtige Tier im Versuch einen Schritt zum Brunnen, zum so lange begehrten Wasser, zu machen, versteinert harrend. Genau wie sein Bruder rechts neben ihm, und so blieb den Reitern nichts anderes übrig, als abermals die beiden Pavillons anzustarren, der rechte den Rechten und der linke den Linken, natürlich. Gerade gab es - gut für den rechten Reiter - sogar etwas zu sehen auf der Plattform des rechten Pavillons.

Eine Sarangi erklang dort in der Hand eines unzufrieden drein blickenden Mannes in Kurta und rot-schwarzem Topi. Parallel zu der Frau mit den weißen Zähnen strahlte er nur wenig Leben aus. Seine Zähne malten, während er sich seiner Volksweisen zu schämen schien. Der Topi rutschte hin und her als er sich an einem klimpernden Solo versuchte, das schmutzige Holz des Instruments unter den dunkel geränderten Fingernägeln.

Um ihn herum stand eine Traube von Menschen, ihre Aufmerksamkeit nicht hauptsächlich ihm, sondern dem lauthals singenden Mädchen neben ihm widmend. Sie saß dort, auf ihrer Sportjacke ein moderner Schriftzug, ruhig und nichts als ihr Mund und ihre Pupillen schien sich an ihr zu bewegen. Auf ihren Händen saß sie, zitterte leicht, aber sang trotzdem so gut wie sie es eben konnte. Die tiefen Töne sang sie mit Inbrunst und Trefflichkeit, die hohen Töne zwar mit weniger Treffsicherheit, dafür mit umso mehr Überzeugung. Das Lied wurde wiederholt, mal für mal und unter Garudas Blick, dem Mannvogel oben auf der Statue vor Krishnas Tempel, kamen mehr und mehr Wesen dazu.

Die Frauen an den Wasserspeiern am Grund des ausgetrockneten Brunnens, des Manga Hiti, schauten hinauf, während sie, im Kampf gegen die Sonne verschleiert, dort in der Schlange mit ihren Plastikbehältern standen. Sie warteten auf Wasser für sich und ihre Familien, welches ihnen durch uralte Wassersysteme auch in der Trockenheit von den krokodilartigen Speiern angeboten wurde. Nicht nur Menschen, auch Hunde scharten sich um die Musiker und Taube um Taube setzte sich auf das Pagodendach des Pavillons.

Doch dies war nicht alles, noch jemand wurde von den Klängen angelockt, einzig durch ein rötliches Schimmern, mehr ein Flimmern in der Luft von dem singenden Mädchen wahrgenommen. Machhendranath, der Rote, war gerade fertig mit seinem täglichen Besuch der Altstadt und ließ sich vor der Rückkehr in seinen Tempel weiter im Süden nocheinmal von seinen Trägern zum Brunnen tragen, um nach dem Wasserstand zu schauen. In Gegenwart all der Götter auf dem Palastplatz fühlte er sich stets unwohl dort und er hatte kurz vor Einleitung des Monsuns auch noch Einiges zu tun. Er musste fertig werden, bevor ihn die Menschen kurz vor Beginn des Monsuns in der langen Zeremonie, einem Festival nur ihm zu Ehren, zu seinem Sommersitz brachten. Dennoch verharrte er einen Augenblick und wandte sein rotes Haupt dem Spektakel zu.

Das Mädchen sang weiter, sang über Leben und Tod, über Liebe zu einem Menschen und zum ganzen Land. Uralte Gefühle und Emotionen schwangen mit und erfüllten die Menschen wie auch den Gott, der sich selten von so irdischen Verlockungen und Anhaftungen angezogen fühlte, immer zu sehr mit seinen himmlischen Aufgaben beschäftigt. Doch nun war er ganz angetan von der Musik und was sie in ihm auslöste und blieb ein wenig in diesem Zustand, wie lange, das vermochte er nicht zu sagen, denn Zeitgefühl ist nichts für Götter. Er wusste nur, dass es endete als er ein lautes, kreischendes Gelächter vernahm. Er blickte zum Palastdach auf und was oder vielmehr wen er dort sah, ließ ihn einen kleinen Seufzer ausstoßen, woraufhin die Japanerin mit der Kamera, so groß wie ein zweiter Kopf, neben ihm kurz erschrak, dann aber das Geräusch dem Hund zu ihren Füßen zuordnete. Der Rote konnte sich nicht mehr entziehen und musste dem Ankömmling, der sich jetzt die Backsteine hinunterhangelte, entgegentreten.

„Bei all den Göttern auf diesem Platz“, rief er dem Kletterer entgegen. „Musste ich ausgerechnet heute dir begegnen, Hanuman!“ Der Affengott machte einen letzten Hüpfer und ließ sich kichernd vor dem Roten nieder, seinen Schwanz schwenkend, was einem faulen Hund einen kühlen Luftzug verschaffte. „Dich sieht man aber auch selten hier, Machhendranath! Zumindest an meiner Statue scheinst du dich immer herum zu schummeln! Naja, ist ja auch blöd, wenn man sich nicht selbst fortbewegen kann“, druckste Hanuman und seine Schneidezähne blitzten im Affengesicht hervor. „Was macht der Monsun? Scheint zu schlafen, wann weckst du ihn?“ Der Rote war sogleich ein wenig beleidigt aufgrund der Anspielung seines Gegenübers auf die ihm fehlenden Gliedmaßen. Wurde doch nur zu häufig von anderen, vitaleren Göttern auf der Geschichte rumgeritten. Er wollte nicht zum tausendsten Mal daran erinnert werden, wie er eines Nachts, noch als kleines Kind, das Kind von Dämonen, an seiner Mutter vorbei aus dem Haus schleichen wollte. Leider war es damals so, dass seiner Mutters Haare den Eingang versperrten und es ist eine Todsünde, über den Leib und damit auch die Haare seiner Mutter zu steigen. Somit (er durfte sie natürlich nicht aufwecken, wollte er doch unbemerkt nach draußen gehen), fasste er jedes einzelne Haar seiner Mutter mit den Fingerspitzen und legte es zur Seite. Unglücklicherweise, und dieser Fehler verfolgte ihn nun schon sein ganzes, göttliches Leben, vergaß er ein Haar, stieg über dieses und verlor als Strafe seine beiden Beine. Obwohl er damals noch so klein war, wurde ihm dieser Fehler noch immer vorgeworfen und Hanuman in seiner spöttischen Art musste natürlich darauf anspielen. Das alles ärgerte den Gott, doch er antwortete nur: „Er schläft tief dieses Jahr, also halte mich bitte nicht von meiner Arbeit ab, ich werde mich natürlich, wie immer, darum kümmern.“ Der Affengott räkelte sich jetzt auf dem Boden, zog mit seinen gelben Fingernägeln eine Laus aus seinem Fell und seufzte: „Du hast wenigstens noch eine Aufgabe, Jahr für Jahr, andauernd sozusagen...“ Sein Blick fiel auf eine junge, sehr hübsche Frau in einer bunten Kurta, die vor den kleinen Vishnu-Tempeln saß und Kaugummi kaute. Merkwürdig wissend starrte sie zurück und Hanuman fuhr fort, leicht spöttisch: „In diesen Zeiten hat ein Gott doch nichts mehr zu tun, keine Heldentaten sind mehr zu verrichten.“ Er klaubte ein rotes Reiskorn auf, fuhr es zum Mund (eine Taube beschwerte sich gurrend) und kaute gelangweilt auf ihm herum. Der Rote stand immernoch etwas steif vor Hanuman und fragte sich, wann er wohl wieder zurück in seinem Tempel sein würde. Doch der strenge Verhaltenskodex, vor Äonen vom Schöpfer verfasst, verbot es ihm, einfach zu gehen.

Plötzlich sprang der Affengott auf, hüpfte einmal um die Menschenmenge herum (seine Leichtfüßigkeit unnötig zur Schau stellend) und ließ sich dann auf des roten Schulter nieder. Er flüsterte ihm ins Ohr: „Du weißt, ich bin der Inbegriff der Sicherheit für die Menschen. Sie vertrauen mir... Wenn ich nun dieses Vertrauen ein wenig erschüttern würde, z.B. in dem ich mit deiner Hilfe eine kleine Naturkatastrophe, sagen wir, das Ausbleiben des Monsuns, initiierte... Dann hätte ich endlich wieder etwas zu tun, nämlich eine Heldentat zu verbringen, um das Vertrauen wieder herzustellen... Und du hättest mal ein bisschen Abwechslung.“ All das wisperte er hastig, als wollte er es schon lange loswerden. Der Rote war einen Augenblick sprachlos, doch er sagte zu dieser absurden Idee nur: „Der Herr wird das nicht zulassen.“ Hanuman sprang von der Schulter herunter und rief zornig: „Shiva meditiert schon seit Jahrhunderten, dort!“ Er zeigte auf die undeutlichen Umrisse des Himalaya, die sich über dem Platz abzeichneten. „Und es wird auch noch Jahrhunderte dauern, bis er wieder zurechnungsfähig ist!“ Dies rief er sehr laut, sprang auf das Pavillondach und dem Roten lief ein Schauer über den Rücken angesichts der Beleidigung seines großen Herrn, dem Zerstörer und Schöpfer neuen Lebens, Shiva, der allerdings in der Tat schon länger nicht mehr zugegen war. Er sagte zu Hanuman, der nun erregt auf dem Dach hin und her hüpfte: „Du solltest dich deiner Bestimmung widmen, die Menschen heilen, die Welt heilen. Da ist genug zu tun!“ Der Affengott legte die Ohren an, schwang sich hinunter zu dem Roten und nahm einen seiner Träger bei der Hand. „Kennst du schon die große Geschichte von meiner tollsten Heldentat in den vergangenen Zeiten? Ich muss sie dir erzählen, dann wirst du anders ob meiner Bestimmung denken!“ Der Rote kannte sie schon, doch aus Höflichkeit schwieg er und ließ seine Träger von Hanuman vor die Stufen der Sonnentür führen, wo er niedergelassen wurde und sich der Affengott neben ihn setzte.

Eine weiße Frau mit einer kugelförmigen Körperform lief hastig durch ihr Blickfeld, ihr Oberkörper wurde von der Kamera um ihren Hals ein wenig nach vorne über gekippt. Sie ließ ihr Motiv, welches auch immer, nicht aus den Augen, einen preisenden Teppichhändler wegscheuchend.

Hanuman hob an, „hör gut zu“, und fing an zu erzählen.

Er erzählte von seinem heroischen Feldzug im Auftrag des Rama, festgehalten in dem großen hinduistischen Epos, der Ramayana. In Urzeiten trug es sich nämlich zu, dass Hanuman, der, so ist es überliefert, über große medizinische Kenntnisse verfügt, von Rama, dem Helden der Ramayana, entsandt wird. Und zwar mit dem Auftrag, ein seltenes Kraut zu suchen, welches umständlicherweise nur in der Himalaya-Region wuchs, der höchstgelegenen Gegend auf diesem Planeten. Hanuman machte sich also auf ins heutige Nepal, um die Berge zu erklimmen (an dieser Stelle schaute Hanuman, der Hanuman der Gegenwart, sehnsüchtig nach den Umrissen der Berge, doch die Menschentraube vor dem immernoch singenden Kind verdeckte ihm die Sicht, egal welches Mosaik sie auch bildete). Der Affengott musste viele Abenteuer überstehen, unter anderem eine Königstochter aus den Händen eines fünfnäsigen Tyrannen befreien und den damals noch existierenden See im heutigen Kathmandutal überqueren. Dies alles kostete ihn einige Zeit, er erzählte dem Roten diesen Teil sehr ausführlich. Umso schneller handelte er den letzten Teil ab, bevor er triumphierend zur Pointe kam. Durch all die Ablenkungen auf seinem Weg hatte er nämlich damals (ein gutes Gedächtnis hatte er noch nie) schlicht vergessen, welches Kraut er nun genau für Rama holen sollte. Nun stand er dort vor einem 8000-Meter-Berg mit diesem Problem. Er konnte ja nicht mal eben zu Rama zurücklaufen und ihn nochmal fragen, also - und nun kam das glorreichste der Geschichte, die Pointe - Hanuman nahm einfach den ganzen Berg mit! Irgendwo auf diesem Berg sollte das richtige Kraut schon zu finden sein... Diese gute Idee und die Körperkraft, die es zu ihrer Ausführung bedurfte, brachte die Brust des Affengotts bis heute zum Schwellen. Das waren noch Heldentaten!

Der Rote blieb unbeeindruckt, musste er doch jahrjährlich mit den Naturgewalten kämpfen, die Wolken antreiben, die Meeresströmungen ändern und mit der Sonne verhandeln. Was war das Versetzen eines Berges dagegen? Doch er ließ Hanuman seinen Stolz über vergangene Taten, blickte um so mehr interessiert auf die von oben bis unten verschleierte Frau, die mit dem Reisigbesen gebückt Staub vom Narsingha - zum Taleju-Tempel kehrte. Sie tat dies mit einer solchen Sorgfalt als würde sie Gewitterwolken in die richtige Position schieben. Ihr Besen war aus dem feinem, weichem Reisig gemacht, die harten Borsten wurden nicht an Orten wie diesen verwendet. Die Fegerin dachte sich so einiges bei ihrer Beschäftigung. Wohin geht der Staub? Wenn er aufgekehrt wurde, was passiert mit ihm? Wer ist verantwortlich? Hört meine Verantwortung am Ende des Besenstils auf? Wenn nicht? Was bringe ich heute Abend zum Reis auf den Tisch? Und dann war sie mit ihrer Arbeit fürs Erste fertig, blickte nur ein wenig trostlos auf die Stelle, an der nun Hanuman, ebenfalls geendet, aufsprang und Staub aufwirbelte.

„Meine Geschichte ist vorbei, Roter! Was passiert nun?“ Er hüpfte von einem Bein auf das andere und blickte erwartungsvoll in Machhendranaths Augen. „Nun trennen sich unsere Wege für heute, Hanuman-Ji. Ich habe noch einiges zu tun.“ Er ließ sich langsam von seinen Trägern aufrichten, nicht ohne Eleganz, und wollte den Affengott gebührend verabschieden.

Doch in diesem Moment ertönte eine tiefe, durchdringende Stimmung, die für einen Moment das hege Treiben auf dem Palastplatz verstummen ließ. „Hanuman!“ Die beiden Götter blickten in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war und sahen die Gestalt eines Mannes mit Rüsselkopf, der gemächlich und würdevoll den gepflasterten Vorhof des Palastes entlang schritt, vorbei an Garuda, welcher dies mit Adleraugen überblickte. Ganesh, der Elefantengott, Sohn des Shiva und der Parvati, kam den beiden Göttern entgegen, in der einen Hand einen Stoßzahn, in der anderen drei klebrig-glänzende Laddoos. „Hanuman!“, wiederholte er. Sein Bauch wippte ein wenig hin und her als er vor den beiden zu stehen kam. Er blickte auf den Affengott, der sich nun etwas widerwillig und mit einem spöttischen Ausdruck in den Augen verbeugte.

Des Roten Blick fiel in diesem Moment, als auch er sich verbeugte (so gut es im Sitzen ging), auf den kleinen Jungen, der schon länger vor ihnen saß, die Hände zu einer Schale geformt, der Körper nur mit Lumpen bekleidet. Dieser Junge schien kaum auf die Menschenmenge auf dem Platz zu achten, von der er doch so abhängig zu sein schien, sondern schaute erstaunlich beharrlich auf das rost- und tonfarbene Muster der Bodenplatten, auf denen Ganesh nun stand und sie durch sein Gewicht zusammen drückte.

Ganesh schien dieser Szene und auch dem Roten kaum Beachtung zu schenken und wandte sich ausschließlich an Hanuman, der sich feixend wieder erhoben hatte und auf einem Bein balancierte. „Geh zurück zu deine Statue, Hanuman!“, sagte der Elefantengott. „Wenn wir beide in unseren Statuen fehlen, haben wir den Menschen nichts zurück zu geben für ihre Gaben.“ Hanuman erwiderte: „Warum habt ihr euch überhaupt von dort erhoben, Dickerchen? Jahrzehntelang haben Euch der sitzende Zustand und die Opfergaben genügt!“ Ganesh ignorierte die Respektlosigkeit, die er nur zu gut kannte und sagte zur Begründung: „Ich muss nur eben nach Nandi schauen. Das Reittier meines Vaters vorne am Vishwanath Tempel ist ein bisschen unausgelastet. Es hat die Zerstörungskraft seines Herrn inne und ich sollte den Bullen lieber beschäftigen..“

Hanumans Augen blitzten auf, der entstehende Lichtstrahl spiegelte sich in der Glocke des Taleju, die sich hinter Ganesh erhob. Er verbeugte sich wieder und sagte ehrfurchtsvoll und nicht ohne schauspielerisches Können: „Lasst mich das erledigen, Herr, für Euch, damit Ihr Euch weiter ausruhen könnt. Ich, mit dem vollkommenen Leib eines Tieres, weiß doch vielleicht besser als Ihr, der Ihr - mit Verlaub - doch nur halb Tier seid, wie mit dem selbigen umzugehen.“

Der Rote schaute misstrauisch auf ihn herab, das Gespräch vom Anfang noch im Ohr, der Elefantengott schaute zumindest prüfend auf Hanuman, der dort vor ihnen in gebeugter Haltung und mir eingezogenem Schwanz saß. Die Szene wurde einen Moment lang unterbrochen als das Glockenkonzert des Bhimsen Tempels im Norden des Platzes erklang. Die drei Götter schauten zu dem dreistöckigen Pagodentempel, vor dem drei Frauen, zwei in roten Kurtas und eine in Jeans und „I love New York“- T-Shirt, die ein wenig zurückblieb, jetzt durchs Bild liefen. Der Tempel schien die Götter zu rufen, fanden doch alle Götter, zumindest die guten, Gefallen an dem sanften, aber durchdringenden Klang der Glocken.

Hanuman erhob als Erster wieder seine Stimme: „Seht, Bhimsen, unser Superheld, ruft. Ihr geht ihn ein wenig besuchen und ich kümmere mich um den Bullen.“ Ganesh starrte noch immer auf den Tempel, indem die Glocken nun langsam verklangen. „Richtet Bhimsen einen Gruß von mir aus, ich komme später bei ihm vorbei!“ Und der Affengott hüpfte und sprang davon.

Der Rote, verblüfft, dass Ganesh dem dreisten Affen keinen Einhalt gebot, sah plötzlich das Antlitz des Bhairab, der wütenden Manifestation Shivas, vor sich aufblitzen, erst die buschigen Augenbrauen, dann seine ganze Erscheinung in einer Mischung aus allen 64 Gestalten, von denen keine schön war, und erschrak. So plötzlich wie sie gekommen war, verschwand Bhairabs Fratze auch wieder, stattdessen schaute Ganesh ihn durchdringend an.

Eine in einen Sari gekleidete Frau lief mit ihrer leeren Opferschale, die noch Spuren von roter Tikafarbe und Chamaal zeigte, zwischen ihnen hindurch, dann schauten sich die Götter wieder in die Augen. Der Rote wollte den Elefantengott auf die Gefahr aufmerksam machen, die im Moment von Hanuman ausging, doch Ganesh gebot ihm zu schweigen und sagte selbst nur: „Ich weiß es ja... Vielleicht wird es mal wieder Zeit....?“ Und er blickte ein wenig wehmütig auf den Palastplatz, der sich vor ihnen erstreckte und nun, in der einsetzenden Abendsonne, in seiner ganzen Pracht erschien.

Ein LKW, der schwarzen Qualm auspuffte, fuhr an ihnen vorbei, auf dem Weg zum „Chamber of commerce and industry centre“, welches sich am Nordrand des Platzes befand. „Aber mache dir keine Sorgen“, sagte Ganesh weiter. „So war es schon immer.“ „Ich weiß“, sagte nun der Rote leise.“ Aber jetzt muss ich schnell zurück in meinen Tempel. Ganesh-ji, ich grüße Euch.“ Er machte eine tiefe Verbeugung, in derem tiefsten Stadium er mit seinen Trägern noch immer ein Stück größer war als der Sohn Shivas. Dann ließ er sich gen Süden tragen und verließ den Platz, warf der Hanuman Statue noch einen Blick zu, sie schien diesen kess zu erwidern, dann war der Gott des Monsuns verschwunden.

Ganesh stand noch ein wenig auf dem Platz, schaute auf das singende Mädchen, den trostlosen Sarangispieler, auf die Tauben und die Hunde, auf die vielen Menschen, die von einem Ort zum anderen liefen und deren Leben man so gut beobachten konnte, den beiden Elefanten, kurz blinzelte er Garuda zu, dann schaute er weiter zum Brunnen und schließlich galt sein letzter Blick der Frau mit den weißen Zähnen. Sie hatte ihr Eis aufgelutscht, stand auf und warf einen kurzen, aber bedeutenden Blick auf die Umrisse der Schneewipfel, als ob sie dort noch etwas anderes vermutete, dann verließ sie den Palastplatz.

 

Begriffserklärungen:

Ort des Geschehens ist der Durbar Square (Palastplatz) in Patan, einer der drei Königsstädte im Kathmandutal, Nepal. Alle erwähnten Tempel und Stätten sind auf diesem Platz oder in naher Umgebung zu finden.

Chamaal: Ungekochter Reis.

Ciura: Roher, zu Flocken gepresster Reis.

Hathi: Nepali für Elefant.

-Ji: Männlicher Namenszusatz, der Respekt ausdrückt.

Kurta: Traditionelles Gewand (ursprünglich) unverheirateter Frauen, in schlichterer Form auch von Männern getragen.

Laddoo: Indische Süßigkeit in Kugelform.

Sarangi: Das am weitesten verbreitete einheimische Streichinstrument in Nordindien, Nepal und Pakistan.

Tika: Segenszeichen, das Hindus oft auf der Stirn tragen.

Topi: Traditionelle männliche Kopfbedeckung (für Frauen ist es eine Todsünde, sie zu tragen).

 

© www.natadata.de 2010. Kommentare an Lisann@natadata.de

zurück zur Geschichtenauswahl

zurück zur Lesen-Seite