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Gespräche mit dem GESANDTEN

I Die Kontaktaufnahme

Vorwort
 
1. Der Brief
 
2 . Die Verabredung

Ich musste irgendetwas tun. Ich konnte nicht mehr in meiner Wohnung bleiben und ging deshalb zunächst in den nahegelegenen Park. Es war mitt­lerweile gegen 20.00 Uhr, aber noch sehr hell. Den ganzen Tag über hatte die Sonne geschienen und immer noch lagen und spielten halb­nackte Menschen, Studenten, Kinder auf der Wiese. Türkische Fa­mi­lien nutzten den Vorboten des Sommers zu einem Picknick. Fris­bees flogen durch die Gegend, Hunde tobten, winter­lich angezogene Alte fütterten die Tauben; ein Hauch von Marihuana war zu vernehmen, schnell wie­der dominiert von Knoblauch- und Bratwurstduft. Hier und da plärr­te ein Radio, klimperte eine Gitarre, erklang eine Flöte...

Alles war so normal, so selbst­ver­ständlich, und erschien mir doch wie ein Magisches Theater, in dem mir keine Rolle zugeteilt war und ich auch keine mehr würde finden können.

Ich verließ den Park und das Viertel. Vor jeder Kneipe standen Stüh­­le auf der Straße, und ich war froh, keinen Bekannten getrof­fen zu haben. Gewohn­heits­mäßig schlug ich den Weg zum Verlag ein. Um diese Zeit würde ich keinen Kollegen mehr antreffen und viel­leicht etwas Ruhe finden, dachte ich, doch vor dem Haus traf ich un­versehens auf unseren Volontär, der mich auch prompt ansprach. Ich sagte bezeichnen­derweise irgendetwas von einem wichtigen Ter­min und, dass ich schnell mein Auto holen müsse, blieb dabei jedoch nicht stehen und vermied so eine Unterhaltung. Mein Wagen stand noch auf dem Verlags­gelände, wo ich ihn oft stehen ließ, wenn ich ihn am Abend nicht mehr benötigte, um so zumindest noch zu einem Spazier­gang zu kommen und der Parkplatz­suche ledig zu sein. Da ich mich be­obachtet fühlte, stieg ich ein und fuhr los.

Ich weiß nicht mehr, wie lange und wo ich gefahren bin, bevor ich mich in der Gegend des Interconti Hotels wiederfand; ich erinnere mich nur, ein­mal am Haus meines Analy­tikers vorbei­gekommen zu sein, doch ihn um eine Extrastunde zu bitten (die nächste reguläre hatte ich am Frei­tag), kam mir nicht in den Sinn. Ich fand einen Parkplatz (was in unserer Stadt jedesmal erwähnens­wert ist) und betrach­tete das Hotel etwas genauer. Es war mir bislang nicht aufgefallen, und das war bei der lang­weiligen post­modernen Beton­fassade auch nicht verwunder­lich. Kein Platz in der Welt schien mir ungeeigneter für »ein großes Abenteuer«.

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Im eleganten Foyer fühlte ich mich von missbilligenden Blicken ver­folgt, die sicherlich nur auf meine Kleidung zurück­zuführen waren, die ich jedoch auch bereit war, anders zu deuten - ich wusste nur nicht, wie. Ich erschrak, als mich ein livrierter Herr mit der Fra­ge ansprach, ob er etwas für mich tun könne. Da es sich eindeutig um einen Hotel­ange­stellten handelte, kam mir nichts an­de­res in den Sinn, als nach dem Restaurant zu fragen, und ich be­kam dann auch zur Antwort, dass sich dieses im fünften Stock­werk be­fände, man mich dort jedoch wegen meiner unangemes­senen Klei­dung nicht werde einlassen können. Indirekt gab er mir zu ver­stehen, dass sich das "Unangemes­sene" meiner Jeans und Turn­schuhe - da ich nun einmal kein bekannter Pop­star oder Tennis­spieler war - auf das Hotel schlecht­hin beziehe, und ich besser daran täte, dieses so­fort zu verlassen. Ich wusste selbst nicht, weshalb ich eigent­lich her­ge­kommen war, und sah deshalb keinen Grund, mich seiner impliziten Auf­forderung zu wider­setzen.

Wieder im Auto kontrol­lierte ich meine gegenwärtige Gemüts­ver­fas­sung und stellte fest, dass mir sehr unwohl bei dem Ge­dan­ken war, allein in meiner Wohnung zu sein. Gleichzeitig woll­te ich mit nie­man­den sprechen. Ebensowenig konnte ich mir vor­stel­len, am nächs­ten Tag ganz normal zu arbeiten. Ein Blick in mei­ne Brieftasche (das Geld reichte) und den Koffer­raum (der Schlaf­sack war da) mach­ten meinen Entschluss perfekt. Ich rief mei­nen Kollegen an und meldete mich für den Rest der Woche ab, fuhr zum nächsten Imbiss, dann zur Tankstelle, wo ich meinem Wagen 20 Liter Diesel und mir 0,7 Liter Whisky besorgte, und dann an die See.

Es war kälter als ich gedacht hatte - ich hatte die ganze Nacht im Auto zugebracht -, war unaus­geschlafen, hungrig und hatte einen ziem­lichen Kater, aber ich kannte ein Vergnügungs­schwimmbad in der Nähe, in dem es neben heißen Duschen auch ein reichhaltiges Früh­stücks­büfett gab. Auch hier fühlte ich mich ziemlich deplaciert. We­der war ich Tourist, noch Tages­aus­flügler, auch hatte ich nicht die Absicht, mich in einer künstlichen Tropen­land­schaft zu amü­sie­ren. Nachdem ich geduscht und gut gefrüh­stückt hatte (ich hatte wohl bereits im Hinterkopf, dass es bis um 20:00 vorhalten musste), ging ich spazieren. Die frische Seeluft tat mir gut. Viele Familien begegneten mir und entgegen meiner Gewohnheit, grüßte ich wild­fremde Menschen. Ich fühlte mich sehr wohl in meiner Haut, ruhig und ausgeglichen. Die Fremdheit, die Andersartigkeit, die ich oft empfand, wenn ich mich "unters Volk" mischte, spürte ich auch diesmal, aber ich empfand das Gefühl des "nicht Dazugehörens" nicht als schmerzlich. Ich war voll und ganz einverstanden mit der Rolle, die das Schicksal, die ich mir gegeben hatte, und spürte eher so etwas wie Stolz, als Einsamkeit. Die wenigen Gedanken die ich hatte, kreisten zwar um Marion und mich, bezogen sich aber nicht wie sonst auf die Vergan­genheit. Ich dachte über die Zukunft nach: Wie würden wir mit­einander umgehen, was könnten wir aus dem Schei­tern unserer Be­zie­hung lernen?

Seit diesem Tag an der Küste habe ich nie mehr im Zorn zurück geblickt. Genau besehen, habe ich an diesem Tag überhaupt emotional Abschied von Marion genommen, hat sie für mich ihre Bedeutung als Frau, ja als Person verloren. Ob es nun bedauerlich ist oder nicht, wenn ich ehrlich bin, muss ich meinem Analytiker rechtgeben, der einmal konstatierte, dass ich Marion seit dem zu einem »Fall« degradierte und unsere Beziehung zu einem »Muster«, das es galt, nicht zu wiederholen. Ob dies eine "gesunde" Reaktion auf eine, auf diese gescheiterte Beziehung war, oder vielmehr Indiz für den wichtigsten Grund des Scheiterns, sei dahingestellt. Für den Leser dieses Berichtes bleibt zu bemerken, dass seit diesen Tagen für mich jedenfalls alles nicht mehr so ist, wie es früher war.

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Ich weiß nicht mehr, wann genau mein Entschluss fiel, die einseitige "Ver­abredung" im Interconti einzuhalten, auf jeden Fall war er nicht Resultat eines bewussten Abwägens. Auch beunruhigten mich die Umstände der "Einladung" nicht mehr. Über meine damaligen Motive bin ich mir nicht vollends im Klaren; sicherlich spielten Neugierde, der Wunsch, etwas "vorzuhaben" und wohl auch ein wenig "Abenteuer"-lust eine Rolle.

Jedenfalls war ich gegen 18:00 wieder zu Hause. Post war nicht da und es roch nach kaltem Rauch.

Ich zog mir ein weißes Hemd an, quälte mich fast eine halbe Stunde mit einem Krawatten­knoten herum, holte meinen einzigen Anzug her­vor und bestellte ein Taxi. Um 19:30 betrat ich dann erneut das Inter­con­ti. Ich schlenderte durch die angeglie­derten exquisiten Läden und verbarg meine nunmehr doch aufkommende Nervosität so gut ich konnte hinter einer ge­schäfts­männisch gleich­gültigen Miene. Um zehn vor acht fuhr ich mit dem Fahrstuhl in den fünften Stock.

Im Restaurant standen ungefähr zwanzig Tische, nur an jedem vierten saßen Gäste. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir nicht überlegt, wie ich mich verhalten sollte, falls alle Tische besetzt gewesen wären, und ich war froh, dass diese peinliche Situation nicht gege­ben war. Ich sah mich kurz um, entdeckte aber kein bekanntes Ge­sicht. Gerade wollte ich einen der leeren Tische ansteuern, als mich ein Herr im Smoking oder Frack (ich bekomme das immer durch­ein­ander) fragend mit meinem Nach­namen ansprach. Ich bestätigte kurz, und er führte mich mit der konditional verbrämten höflichen Auf­forderung »wenn Sie mir bitte folgen würden...« an einen etwas separat stehenden Tisch direkt am Fenster, rückte mir genau den Stuhl zurecht, auf dem ich mich hätte umdrehen müssen, wenn ich das Restaurant überblicken wollte, entfernte noch schnell das "Reserviert"-Schild und verschwand so schnell wie er gekommen war. Ich setzte mich sofort auf die gegenüberliegende Seite des Tisches, um zumindest sehen zu können, wer oder was da auf mich zukommen sollte. Der Tisch unterschied sich außer durch seine periphere Lage, die es ermög­lichen würde, auch etwas lauter zu reden ohne befürchten zu müssen, an den Neben­tischen verstanden zu wer­den, nur dadurch von den anderen Tischen, dass eine seiner Seiten direkt an dem bis zum Boden reichenden Fenster stand, er also nur von maximal drei Personen gleichzeitig benutzt werden konnte, während die ande­ren Tische einem Quartett genügend Platz boten. An der dem Fenster gegen­über­liegenden Seite des Tisches stand jedoch kein Stuhl, was sicher nicht auf einen Mangel an Mobiliar zurück­zuführen war; ich hatte also nur eine Person zu erwarten. Auf dem Tisch war neben einem Blumen­gesteck und einer Weinkarte nichts weiter zu entdecken. Doch, im negativen Sinn, denn ein Aschen­be­cher fehlte, was ihn, wie ich schnell überprüfte, zusätzlich von allen anderen leeren Tischen unterschied. Alles war arrangiert, man schien fest mit meinem Erscheinen gerechnet zu haben.

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Meine Unsicherheit wich einer angenehmen Spannung. Ich warf einen Blick auf die Weinkarte und versuchte her­aus­­zubekommen, welcher mir schmecken könnte, und muss dann wohl durch irgendetwas abgelenkt worden sein, jedenfalls schaute ich aus dem Fenster, als ich plötzlich jemanden sagen hörte: »Nice, to see you«.

Ich hatte ihr Kommen nicht bemerkt.

Mir gegen­über saß - Lila!

Die Stimme war mir sofort zutiefst vertraut, aber es dauerte einige Sekun­den, bis sie mit meinem optischen Eindruck harmonierte: Lila hatte sich ihre Haare ab­schnei­den lassen, ihre langen, schwarzen, seidig schim­mern­den Haare, die mich immer faszi­niert hatten. Sie trug jetzt einen jener Kurz­haar­schnitte, die manche Frauen auf ähnliche Weise als Zeichen ihrer Emanzi­pation vom Patri­archat auffassten, wie die männ­lichen Angehö­rigen meiner Genera­tion in der Puber­tät die Länge ihrer Haare als Aus­druck ihrer Dis­tanz zum Estab­lish­ment.

Außerdem war sie sehr elegant gekleidet. Sie trug ein - ich glaube in grün gehal­tenes - Kostüm, darunter eine weiße Seiden­bluse, die er­ken­nen ließ, dass sie immer noch auf einen BH ver­zich­ten konn­te, schwarze Strümpfe und Pomps. Alles in allem machte sie den Ein­druck einer erfolg­reichen Mana­gerin, was überhaupt nicht einher ging mit dem Bild, das sich mir nach unseren vorherigen Begegnungen eingeprägt hatte.

Nachdem ich realisiert hatte, wer mir gegenüber saß, stürmte eine Welle unterschiedlichster und scheinbar unvereinbarer Gefühle auf mich ein, die aufzulisten mich einst eine ganze Analysestunde gekostet hatte. Die dominantesten waren neben Erstaunen: Trauer, Angst und unbändige Freude.

Trauer, weil ich (wie mir im Nachhinein klar wurde) während meiner Beziehung mit Marion und des Versuchs, mich nicht zuletzt mit der Ausübung eines "bürgerlichen" Berufes in die "normale" Gesellschaft zu integrieren, Lila und unsere gemeinsamen Erlebnisse fast vergessen oder beinahe vollständig verdrängt hatte - ich kam mir beinahe wie ein Verräter vor; Angst, weil ich spürte, dass mit diesem Treffen mein Leben nun endgültig aus seiner gegenwärtigen und im großen und ganzen doch bequemen und bewährten Bahn gerissen werden würde (Veränderungen waren mir immer ein Greuel); Freude, weil ich Lila schlicht mochte, mehr noch, weil ich sie auf eine besondere Weise liebte und mich in ihrer Gegenwart stets wohl und auf eine unerklärliche Art aufgehoben fühlte, was mir, allzumal in meiner damaligen emotionalen Orien­tierungs­losigkeit, sehr zu pass kam.

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